„Es hat mich zutiefst mitgenommen“ – Erinnerungsarbeit zur Shoa an der BBS Boppard

Angehende Erzieherinnen und Erzieher der BBS Boppard leisteten durch ihre engagierte Beschäftigung mit dem Lebensbericht „Ja zum Leben“ des Auschwitz-Überlebenden Viktor Frankl eine beachtliche Erinnerungsarbeit mit eigenen Texten, Bildcollagen und szenischen Darstellungen zum Völkermord der Shoa.

Noch vor der Corona-Schließung der Schule organisierte die Klasse Ausstellungen sowie Theater- und Filmvorführungen zur Shoa. Gerade im 75. Gedenkjahr des Kriegsendes bewegt das Thema Klasse und Schule noch immer.

„Blicke unwahr weit des Grau’s / Mein Sinn kann es nicht fassen“ schreibt die angehende Erzieherin Janine Freisberg von der BBS Boppard in ihrem Gedicht „Freiheit“ über den schier unfassbaren Zivilisationsbruch nationalsozialistischer Barbarei. Sie war und ist der traurige Beweis dafür, was Menschen Menschen an monströser Grausamkeit antun können. Zum bestürzenden Sinnbild der bestialischen Verfolgung Andersdenkender und des industriellen Völkermords wurde das Vernichtungslager KZ Auschwitz. Vom Leben und Morden in dieser unvorstellbar enthemmten Gewalthölle berichtet der Psychiater Viktor Frankl in seinem Buch „Ja zum Leben“. Und es ist dieser autobiographische Erfahrungsbericht, mit dem sich die Erzieherklasse FSSt17a der Fachschule Sozialwesen an der BBS Boppard engagiert und kreativ im Unterricht und weit darüber hinaus auseinandersetzte. Die Klasse erschloss sich den Text, indem sie ihn gestalterisch durch selbst gestaltete Collagen, Zeichnungen, Lesetagebücher, Filmszenen und Gedichte erweiterte. Ohne schulischen Zwang und abseits von Notendruck spürten die Schülerinnen und Schüler das innere Bedürfnis, Buch und Thema eigenständig zu vertiefen: „Die Erinnerung ist wie Wasser, / sucht sich einen eigenen Weg“ beschreibt Dana Uckermann in ihrem Gedicht „Die Vergessenen!“ das aufrichtige Verlangen, sich der Vergangenheit zu stellen. Beispielhaft für viele in der Klasse bringt Michelle Gerhards in ihrem Gedicht „Damals“ die eigene schmerzhafte Betroffenheit plastisch zum Ausdruck: „Man spürt das Elend von damals, / mit riesengroßem Schmerz“.

Die Lektüre von „Ja zum Leben“ als einem markanten Beispiel der Auschwitz- und Lagerliteratur setzte in der Klasse schöpferische Prozesse von beeindruckender Qualität frei. Das Resultat: eine sehenswert-schmerzhafte Sammlung beachtlicher Handlungsprodukte von Schülerinnen und Schülern. „Das ist so gut, dass die ganze Schule davon profitieren soll“, war für den betreuenden Religionslehrer Per Layendecker klar. So bereitete er zusammen mit der Klasse eine ebenso ansprechende wie anspruchsvolle Ausstellung vor, die schulweit für großes Aufsehen sorgte. Die angehenden Erzieherinnen und Erzieher luden viele hundert Besucherinnen und Besuchern zu einem Galerierundgang durch das dunkelste Kapitel deutscher Geschichte ein. Dabei achteten sie darauf, immer nur eine bestimmte Besucherzahl in die Räume zu lassen: „Es ist uns wichtig, dass es Zeit, Ruhe und Muße für die Betrachtung gibt“, erklärt Mona Thum und Sina Weiler ergänzt: „Das Thema soll nicht im Vorbeigehen abgehandelt werden.“ So herrschte in den Ausstellungsräumen konzentrierte Anspannung an Info-Ständen, Plakatwänden, selbst erstellten Ausstellungselaboraten, Zeichnungen, Skizzen und in der Vorführung eines selbst gedrehten Films. Der Besuch hinterließ bei Lehrkräften wie Schülerinnen und Schülern großen Eindruck: „Wir hatten nicht mit so einem Besucherinteresse und solch einem respektvollem Klima gerechnet – wir sind baff“, meinte Jonas Liesenfeld. Die Ausstellungsmacher legten Wert darauf, mit ihren schöpferischen Produkten mehrere Sinne anzusprechen und die Menschen zu ergreifen. „Ich konnte es so nicht stehen lassen. Es hat mich zutiefst bewegt“, erläutert Sina ihre Motivation für die Shoa-Ausstellung. Damit spricht sie für alle in der Klasse, die durch ihre Arbeit den wichtigen Appell eines „Nie vergessen!“ und „Nie wieder!“ an heutige Generationen richten wollten und wollen. Die Aktualität dieses Appells steht an der BBS Boppard in einer Zeit, in der die Zahl der Angriffe auf jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger rasant steigt, in der Polizei jüdische Einrichtungen schützen muss und in der antisemitische Hetze nahezu politisch hoffähig geworden ist, außer Frage. „Die Leistung der Schülerinnen und Schüler halte ich auch deshalb für so beachtlich, weil sie unterstreicht, dass es keine erinnerungspolitische ‚Stunde Null‘ oder eine Verharmlosung deutscher Gewaltgeschichte als ‚Vogelschiss‘ geben darf“, lobt Studiendirektor Dr. Descourvières. „Dies gilt desto mehr, da wir in diesem Jahr in besonderer Weise des Kriegsendes 1945 gedenken.“ Mit Blick auf die Widerstandsleistung ihres Großvaters im Faschismus wurde für Janine Freisberg, klar, wie sehr Geschichte mit der Gegenwart zu tun hat: „Er hat damals viel Mut bewiesen und dafür bin ich stolz auf ihn. Diesen Mut zum Engagement gegen Rassismus und Ausgrenzung brauchen wir auch heute noch.“ Die von ihr erstellten Schwarz-Weiß-Zeichnungen der Ausstellung setzen das Grauen des Völkermords eindrucksvoll ins Bild. „Mit den Bildern wollte ich etwas Bleibendes schaffen zum Andenken an die Opfer und an diejenigen, die sich ihren Anstand auch in dunkelsten Zeiten bewahrt haben“, erklärt sie.

Die durch die Lektüre von Frankls Buch initiierte Beschäftigung mit rassistischer Ausgrenzung ließ die Klasse im Schuljahresverlauf nicht los. Sie entwickelte weiter, gestaltete weiter und trug die Botschaft eines überzeugenden „Nie wieder!“ unbeirrt in die Öffentlichkeit. So präsentierte sie ihre Ausstellung beispielsweise auch im Rahmen des Tages der offenen Tür an der BBS Boppard erneut. Zudem gestaltete sie unter Anleitung der Kunstlehrerin Dorothee Becker das Schwarzlichttheaterstück „Erinnerung“ und führte mit Unterstützung der Schulleitung der BBS Boppard eine Studienfahrt nach Dachau durch. Es arbeitet in ihnen, wühlt sie auf und bewegt sie zutiefst. Sie sehen in der deutschen Vergangenheit auch den Appell an die Verantwortung im Heute, Hier und Jetzt, sich aktuellen Formen von Ausgrenzung, rassistischer Diskriminierung und Geschichtsverfälschung entgegenzustellen. „Wir appellieren an heutige Generationen, die Augen zu öffnen“, warnt Tijen Rubil vor einer gefährlichen Ignoranz gegenüber brutaler rassistischer Gewalt in der Welt. Damit weiß sie sich im Einklang mit dem berühmten Schriftsteller und Shoa-Überlebenden Primo Levi, der die Warnung formulierte: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen.“ Als Zeichen ihres Einsatzes gegen Rassismus und Ausgrenzung initiierte die Klasse eine Spendenaktion zugunsten der Seenotrettung. „Es geht uns darum, ein Zeichen für die Unterstützung von Menschen zu setzen, die aus menschenunwürdigen Verhältnissen fliehen und Hilfe suchen.“

Schulleiterin Gabriele Wingender zeigte sich beeindruckt von der engagierten Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit der Shoa: „Ich bin außergewöhnlich stolz auf diese Leistung und ich freue mich über das hohe Maß, in dem die Schülerinnen und Schüler historische und politische Verantwortung reflektieren.“ Wie stark diese politische Verantwortung auch in der Corona-Zeit notwendig ist, zeigen aktuelle Recherchen aus Israel: Weltweit ist anti-jüdische Hass-Hetze im Internet rekordverdächtig angestiegen: Deutschland belegt demnach in der Produktion und Verbreitung antijüdischen online-Rassismus‘ im Zusammenhang verschwörungstheoretischer Spekulationen rund um die Corona-Pandemie weltweit einen erschreckend traurigen Platz drei. Es bleibt dabei: Die Auseinandersetzung mit der eigenen faschistischen Geschichte und anhaltender rassistischer Ausgrenzung ist und bleibt von größter Bedeutung – besonders in Schule und Unterricht. Und die BBS Boppard stellt sich dieser Verantwortung.