„Die Würde des Menschen ist unantastbar“ – der Leitsatz des deutschen Grundgesetzes gibt das Kernanliegen des Sozialwissenschaftlers und Sachbuchautors Reiner Engelmann prägnant wieder. Aufgewachsen im „Erinnerungsk(r)ampf“ der bundesdeutschen Nachkriegszeit setzte er sich in den 60er Jahren mit der deutschen Gewaltgeschichte im Nationalsozialismus auseinander. „Ich hatte so viele Fragen und kaum Antworten“, umschreibt er seine Forschungsmotivation. Damit stand er nicht allein, zeichnete sich das gesellschaftliche Leben in der jungen Bundesrepublik doch mehrheitlich durch eine wirtschaftliche Aufbruchsstimmung bei gleichzeitiger Verdrängung der eigenen Verantwortung für die deutschen Verbrechen, die sich als „Zivilisationsbruch“ in das kulturelle Gedächtnis der Menschheit eingebrannt haben, aus. Die millionenfache Verfolgung und Ermordung von Minderheiten und Andersdenkenden war bis zu den Auschwitz-Prozessen ab 1963 in der deutschen Öffentlichkeit kaum ein Thema. „Ich will nichtzur nächsten Generation gehören, die zu Menschenrechtsvergehen schweigt“, erklärt er den Schülerinnen und Schülern, warum er seine Recherchen zu den Verbrechen des faschistischen Völkermords begann. Entstanden sind daraus zahlreiche Sachbücher zur Gewaltherrschaft im Nationalsozialismus und zum gegenwärtigen Rechtsextremismus, zur Aufarbeitung von Erinnerung und Vergangenheit und zur Diskriminierung im heutigen Alltag.Entscheidend für sein gesellschaftliches und schriftstellerisches Engagement sei der Blick auf den einzelnen Menschen – auf dessen Leben, Rechte und Würde –, umriss das engagierte Amnesty-Mitglied Engelmann den Fokus seines Schreibens: „Wir wissen, dass in Auschwitz eine Millionen Menschen ermordet wurden. Aber was sagt diese Zahl? – Dahinter verschwindet der einzelne Mensch“, beklagte Engelmann. Genau dem geht er in seinen Büchern nach, so auch in dem 2018 im cbj-Verlag erschienenen Titel „Der Buchhalter von Auschwitz. Die Schuld des Oskar Gröning“.Oskar Grönings Weg führte von der nationalistischen Kindheitsprägung durch seinen Vater über die Jugend-Organisation im stramm patriotischen und völkischen „Stahlhelm“ und die „Hitler-Jugend“ zum freiwilligen Eintritt in die Waffen-SS noch während der Banklehre. An seinem nationalsozialistischen Eifer änderte auch seine jüdische Kindheitsfreundin nichts. Statt des ersehnten Frontdienstes für das Vaterland erhielt er Einsatzbefehle für verschiedene Konzentrationslager, darunter Dachau und zuletzt Auschwitz als Buchhalter in der Verwaltung des „Häftlingseigentums“. Konfrontiert mit der grausamen Brutalität der systematischen Vernichtung reagierte er zwar geschockt, ließ seine Bedenken aber von beschwichtigenden Vorgesetzten zerstreuen und blieb schließlich in Auschwitz. Nach dem Krieg gelang ihm nach glimpflicher Gefangenschaft eine Karriere als Personalchef und ehrenamtlicher Richter. Für die Vergangenheit galt für ihn die Devise „Frag mich nicht!“, wie er seiner Frau befahl. Lange Zeit sprach er nicht über Auschwitz und verdrängte es erfolgreich, bevor er schließlich doch den Mut fand, sich einem Auschwitzleugner entgegenzustellen. 2005 bestätigte er in Interviews mit der britischen BBC und dem „Spiegel“ öffentlich die Existenz der Vernichtungslager. Da er nicht direkt an Tötungshandlungen beteiligt war, trat er in verschiedenen Prozessen zunächst als Zeuge gegen NS-Verbrecher auf, bevor 2015 selbst vor dem Landgericht Lüneburg angeklagt und schließlich in diesem letzten großen Auschwitz-Prozess wegen Beihilfe zu 300.000fachem