„Ich habe gemerkt, wie Mama und Papa sich fühlten.“
Viertägiges Elternpraktikum begeisterte Jugendliche der BBS Boppard
„Elternpraktikum“ heißt, mittels realitätsnaher Babysimulatoren zu lernen, was Babypflege und Elternschaft bedeutet. Denn hier machen Jugendliche die Erfahrung, wie es ist, drei Nächte auf den Babysimulator aufzupassen und dessen Pflegewünsche zu erfüllen. Im Rahmen der sexualpädagogischen Präventionsarbeit mit Jugendlichen der weiterführenden Schulen boten die Beratungsstelle donum vitae Boppard e.V. und die JugendBegegnungsStätte (JBS) St. Michael Schülerinnen und Schülern der Berufsfachschule 1 „Gesundheit und Pflege“ der BBS Boppard im Dezember das viertägige Elternpraktikum an. Was ist das „Elternpraktikum“?
Jugendliche leben einige Zeit, hier ca. 56 Stunden, mit einem Babysimulator, also einer Babypuppe, die die Bedürfnisse eines Babys nach Nahrung, Windelwechsel, Aufstoßen sowie Körperkontakt zu den Eltern simuliert und das Pflegeverhalten aufzeichnet. Die Jugendlichen erhalten einen Erkennungschip, durch den die Babypuppe ‚erkennt‘, dass die ‚Eltern‘ anwesend sind und einzelne Pflegemaßnahmen ausführen können. Die Puppe verhält sich annäherungsweise wie ein echtes Baby, d.h. sie kann sich nur durch Laute und Schreien verständlich machen und erwartet auch nachts Zuwendung und Pflege.
Das Projekt
Am ersten Tag setzten sich die Jugendlichen mit der Frage auseinander, was wäre, wenn sie jetzt Eltern würden. Wie würde das Umfeld – Eltern, Freunde, Bekannte, Schule – reagieren? In diesem Zusammenhang wurde auch das Thema Abtreibung diskutiert. Im zweiten Schritt erläuterten Ingrid Gundert von der Beratungsstelle donum vitae und Hermann Schmitt von der JBS die Funktionsweise der Babysimulatoren, bevor die Jugendlichen üben konnten und am Ende des Vormittags die Simulatoren ausgehändigt bekamen. Ca. 56 Stunden Lernzeit mit den Babysimulatoren lag nun vor ihnen. Unterschiedliche Erfahrungen machten die Schüler*innen: „Ich habe mit dem Baby die Kopfstütze, das Füttern und den Windelwechsel gelernt“, gab eine Schülerin an. Andere äußerten sich ähnlich: „Man sollte immer Geduld mit dem Baby haben.“ und „Jetzt ahne ich, wie viel Zeit und Mühe die Eltern für die Kinder geopfert haben und wie viel Aufwand das ist.“
Am zweiten Vormittag befassten sich die jungen ‚Eltern auf Probe‘ mit dem fatalen Alkoholsyndrom, der Überforderungsreaktion „Baby schütteln“ und mit dem Thema Verhütung. Außerdem besuchten die Jugendlichen in zwei Kleingruppen die Beratungsstelle von donum vitae, die sich als Anlaufstelle für Hilfe und Unterstützung bei Schwangerschaften vorstellte.
Am dritten Vormittag traf sich das Team mit den Jugendlichen in den Räumlichkeiten der BBS Boppard. Für die Dauer des Regelunterrichts an diesem Tag wurden die Simulatoren in „Tagespflege“ gegeben, also ausgeschaltet. Nach dem Schultag lief die Simulation weiter.
Der vierte Vormittag stand im Zeichen der Auswertung der Elternzeit in Einzelgesprächen und im Plenum. Außerdem erörterten die Jugendlichen im Anschluss an die Präsentation des Filmes „Juno“, der von der Schwangerschaft einer 16jährigen handelt, die kulturell unterschiedlich geprägten Umgangsweisen mit einer Schwangeren, die nicht verheiratet ist. Gerade die syrischen Jugendlichen unterschieden hier zwischen den kulturellen und den religiösen Normen. Sie betonten die Barmherzigkeit des Islam im Unterschied zur Rigidität der arabischen Kultur. Des Weiteren sagten sie, dass der Umgang von Familie zu Familie variiere, es also keine einheitliche Verhaltensweise gibt.
Wie erlebten die Jugendlichen die Zeit mit dem Babysimulator? „Sehr gut, weil ich sehen konnte, wie es ist, Mama zu sein“, fasste eine Schülerin zusammen. Das Umfeld reagierte unterschiedlich: „Also meine Familie, die haben mir gesagt, das war gut, und dass ich ein bisschen gelernt habe.“ Andere Familien äußerten Zustimmung zum Projekt: „Sie fanden es lustig und schön, dass es sowas für jüngere Menschen gibt, um zu sehen wie bereit man wirklich ist.“ / „Sie waren offen und hilfsbereit, haben mir geholfen, wenn ich nicht weiterkam.“ / „Meine Familie hat sich gefreut, meine Freunde fanden es lustig.“ Allerdings löste die Elternzeit auf Probe nicht nur Begeisterung aus: „Am Anfang war das normal, aber nach einem Tag waren sie sauer, weil die Babypuppe sehr viel weinte.“
Die Jugendlichen selbst zogen nach den anstrengenden und ermüdenden Projekttagen insgesamt eine sehr positive Bilanz: Alle Schüler*innen würden das Praktikum anderen empfehlen, weil „es eine spannende Erfahrung ist“ und weil sie es wichtig finden, „junge Menschen darauf aufmerksam zu machen, wie viel Arbeit ein Baby ist.“ Zudem betonten sie, dass ein solches Projekt „hilft zu lernen, wie man mit Kindern umgehen kann.“
Einig waren sich Ingrid Gundert und Hermann Schmitt auch mit dem zuständigen Schulleitungsverantwortlichen für die Berufsfachschulen an der BBS Boppard, Dr. Benedikt Descourvières, über die grundsätzliche Bedeutung des Gesamtprojektes: „Wir sind sehr dankbar, dass donum vitae und die JugendBegegnungstätte unseren Schülerinnen und Schülern jedes Jahr dieses wichtige Beratung in einer wirklichkeitsnahen und altersgemäßen Handlungssituation anbieten. Diese Kooperation setzen wir sehr gerne fort.“
Infos zum „Elternpraktikum“ können interessierte Jugendliche und Erwachsene entweder bei Ingrid Gundert, boppard@donum.vitae.org oder bei Hermann Schmitt, jbs-boppard@rz-online.de erhalten.
Text und Fotos: Hermann Schmitt, JugendBegegnungsStätte (JBS) St. Michael Boppard