„Wer schreibt von euch?“
Literaturworkshop mit Schriftsteller Daniel Höra an der BBS Boppard Für die Schullektüre des Romans „Braune Erde“ erhielten die Schülerinnen und Schüler der Berufsoberschule 2 (BOS2) einen besonders anschaulichen Einstieg: Zusammen mit ihrem Deutschlehrer empfingen sie noch kurz vor der Schulschließung den Berliner Autoren Daniel Höra persönlich zu einer Lesung mit Workshop an der BBS Boppard. „Wer schreibt von euch?“
Mit dieser direkten Auftaktfrage eröffnete Daniel Höra kurz vor den Weihnachtsferien den Literaturworkshop mit Buchlesung. Tatsächlich berichteten etliche Schülerinnen und Schüler von eigenen Schreiberfahrungen und Schreibprojekten. Schnell wird klar: Der Schriftsteller ist an der BBS Boppard richtig und findet in der BOS2-Klasse ein lernwilliges und sehr interessiertes Publikum.
Den lebendigen und aktiven Austausch über Schreiben und Literatur startete der Autor zeitkritischer Jugendromane mit der produktionsästhetischen Frage Wie werden Geschichten ‚gebaut‘? Dazu skizzierte er ausgehend von C.G. Jungs tiefenpsychologischem Ansatz das „Schema der Archetypen“ (C.G. Jung) als erfolgreiches Modell des Storytelling. Archetypen repräsentieren nach C.G. Jung Grundmuster menschlichen Verhaltens. Solche Grundmuster finden sich auch in literarischen Erzählungen und Texten, wie es beispielhaft der berühmte sowjetische Philologe Wladimir Propp für die russischen Volksmärchen nachwies. Als prägnante Beispiele für solche erzählerischen Grundmuster vieler Geschichten benannte Höra die Funktionen des Helden, des Boten oder Herolds, des Schwellenhüters, des Mentors oder Helfers und des Schattens. Letzterer umschreibt beispielsweise einen Figurentypus, der dem Helden das eigene Verhalten spiegelt und damit die selbstkritische Reflexion des Helden ermöglicht. Im Anschluss an die schreibtheoretische Einführung las Höra aus seinem Roman „Braune Erde“, in dem er sich kritisch mit rechtsextremistischen und völkischen Siedlungsbewegungen in ländlichen Regionen Deutschlands auseinandersetzt. Der Roman verbindet Elemente des Adoleszenz- und Kriminalromans zu einem ebenso engagierten wie spannenden Polit- und Gesellschaftsthriller. Sehr lesenswert zeigt der Roman die raffinierten Manipulationsstrategien rechtspopulistischer Rattenfänger auf.
Höra band die Klasse mit kreativen Schreibaufträgen aktiv in seine Buchvorstellung ein. Mutig und innovativ setzten die Schülerinnen und Schüler die Schreibimpulse um und tauschten sich angeregt mit Höra über ihre eigenen Schreibideen aus. Geschickt verknüpfte dieser die Ideen der jungen Erwachsenen mit Hinweisen auf handwerkliche Aspekte des literarischen Schreibens und Erzählens: „Wozu habe ich den Hammer verwendet? Was löst er bei Ihnen aus?“ In der Diskussion über erzählerische Details gelang es dem Erfolgsautor zu vermitteln, wie Leser und Leserinnen gelenkt, auf Spuren geführt und in „die Geschichte mit hereingenommen“ werden.
In dem äußerst lebendigen Austausch fanden auch allgemeine Fragen zur Schriftstellerexistenz ausreichend Platz: „Wie kamen Sie auf die Idee?“ / Wie sind Sie überhaupt zum Schreiben und dann zum Verlag gekommen?“ / „Können Sie davon leben?“ Auskunftsfreudig blieb Höra keine Antwort schuldig. Es gelang ihm, der sich selbst als „Lesejunkie“ bezeichnete, die Klasse für das Buch, aber auch für Techniken des Schreibens insgesamt zu begeistern. „Der Workshop war eine Werbung für die Auseinandersetzung mit Lesen und Schreiben und für die Beschäftigung mit zeitgenössischen gesellschaftskritischen Romanen“, lobte Deutschlehrer Dr. Descourvières den Verlauf des Workshops, der nach Ansicht von Christian Jabs, Schüler der BOS2, gerne hätte länger dauern dürfen. Durchgehend äußerten sich auch die anderen Schülerinnen und Schüler anschließend positiv über den ebenso lehrreichen wie anregenden und kurzweiligen Literatur-Workshop, den Höra mit einer Autogrammrunde abschloss. Schulleiterin Gabriele Wingender dankte dem Gast aus Berlin: „Ihr Auftritt zeigt mir, wie erfolgversprechend es ist, junge Menschen für Literatur zu begeistern und für zeitkritische Fragen zu sensibilisieren. Das sollten und werden wir häufiger durchführen.“