Jede Stimme zählt!
Demokratiepädagogischer Projekttag an der BBS Boppard
„Kinder und Jugendliche Demokratie erproben, erfahren und erlenen lassen“ – das war das Ziel des Projektes der Fachschulklasse der Erzieherinnen und Erzieher an der BBS Boppard. Den erfolgreichen Höhepunkt dieser demokratiepädagogischen Unterrichts-Initiative bildete der digitale Projekttag am 19. April 2021, in dessen Rahmen die angehenden Erzieherinnen und Erzieher ihre eigene Demokratie-Initiative in Einrichtungen der Kindertages- und Jugendpflege vorstellten, diskutierten und reflektierten. Mit rund 100 Teilnehmenden aus der Schulgemeinschaft war die Veranstaltung ein voller Erfolg.
Eines der seit zwei Jahrzehnten wirkungsmächtigsten Konzepte für Demokratiebildung im Kinder- und Jugendbereich stand mit seinem programmatischen Titel „Kinderstube der Demokratie“ Pate für das Motto des Projektes der Fachschulklasse FSst20a unter Leitung von Dr. Denise Dazert. Ganz im Sinne dieses von dem Forschertrio um Rüdiger Hansen, Raingard Knauer und Benedikt Sturzenhecker entworfenen Konzeptes entwickelte und erprobte die Klasse im Rahmen des Unterrichts Ideen und Möglichkeiten der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Ausgestaltung von Lern- und Arbeitsprozessen in Kindertages- und Jugendpflegeeinrichtungen sowie in Schulen. Entstanden sind daraus 26 konkret vor Ort in den Kitas und Schulen umgesetzte Demokratie-Initiativen: „Wir entscheiden mit! – Wir bauen ein Brettspiel“, „Wir entscheiden gemeinsam! Wo möchten wir spielen?“, Wir gestalten die Puppenecke mit einem Wandbild“ und „Unsere Meinung zählt! Die Schmetterlingskinder gestalten den Morgenkreis“ – so lauteten nur einige der vielen Projekttitel, deren Namen bereits Programm sind. Immer ging es dabei um das Erfahren und Erleben demokratischen Handelns in einem friedlichen Miteinander und damit stellten sich die Nachwuchserzieherinnen und -erzieher einer Herausforderung, die die amtierende Bildungsministerin Dr. Stefanie Hubig für „eine der wichtigsten, aber gewiss keine der leichtesten Aufgaben“ in der Erziehung von Kindern und Jugendlichen hält. Und genau das ist es, was geltendes Recht weltweit als einen wichtigen Bestandteil der Persönlichkeitsbildung junger Menschen vorsieht. International legt Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention Partizipation und Teilhabe als Recht von Kindern fest. Auf Bundesebene findet sich dies in §8 des Sozialgesetzbuches verankert und auf Landesebene formulieren die Kindertagesstättengesetze das Partizipationsrecht von Kindern und Jugendlichen. So sieht das rheinland-pfälzische „Kita-Zukunftsgesetz“ in §3 ausdrücklich vor, den „Willen des Kindes […] bei der Gestaltung des Alltags in Tageseinrichtungen zu berücksichtigen“. Und wozu das alles? Darauf gibt das Gesetzeswerk eine unmissverständlich klare Antwort: Partizipation soll ein „Leben in einer demokratischen Gesellschaft erfahrbar machen […] im Geiste der Verständigung, des Friedens und der Toleranz“ (§3, Abs. 1). Demokratisches Denken und Handeln erfahrbar zu machen, ist deshalb so wichtig, weil Demokratie als „einzige Gesellschaftsordnung […] gelernt werden muss“, wie es der Soziologe Oskar Negt in einem Interview 2004 formulierte. Und genau diesem Lernprozess widmeten sich die 26 zukünftigen Erzieherinnen und Erzieher aus der Bopparder Fachschulklasse in der Entwicklung und Durchführung ihrer Demokratieprojekte im Vorfeld des Projektages.
Dabei legte die Lehrerin Denise Dazert großen Wert darauf, dass sich die Schülerinnen und Schüler konkret mit der Frage auseinander setzten, welche Potenziale sich in Kindertagesstätten, Schulen und Betreuungseinrichtungen als Orte der Vielfalt, der Gemeinschaft, des Lernens, Spielens, Entdeckens und Forschens für die Bildung prodemokratischer Werte erschließen lassen. Engagiert, tatkräftig und den Kindern und Jugendlichen zugewandt stellten sich die Bopparder Fachschülerinnen und Fachschüler von Februar bis April dieses Jahres dieser Herausforderung und förderten einen erstaunlichen Einfallsreichtum zutage: So ging es beispielsweise bei Jamie Horrell von der Außenwohngruppe Brauneberg um die Erörterung und Vereinbarung eines „Ämterplans“, bei Erik Paul Groß von dem Kindergarten Bonefeld um die Tablet-gestützte Verantwortung für ein demokratisches Miteinander, bei Jessica Umbs von dem Waldorf Waldkindergarten Kastellaun um die „essbaren Pflanzen im Garten“ und bei Sven Hohmann von der Kita Villa Kunterbunt in Rheinböllen um die Gestaltung der Kinderkonferenz. Allen Demokratie-Initiativen gemeinsam war der Ansatz, zuerst in der jeweiligen Gruppe einen Bedarf zu ermitteln, der für alle ein reales Problem darstellt. In einem zweiten Schritt wurden unter Einbindung aller Gruppenmitglieder Lösungsmöglichkeiten erörtert, beschlossen und schließlich gestalterisch umgesetzt. Und was hat das mit Demokratie zu tun? „Sehr viel“, berichtet Anne-Katrin Thomas von der Kita St. Martin in Briedel: „Die Kinder erfuhren den Wert von Meinungsfreiheit und offener Diskussion, von Argumenten und Abstimmungen, von Verantwortung und Verbindlichkeit“, fasste sie ihre Projekt-Erfahrungen begeistert zusammen und sprach damit ihrer gesamten Klasse aus dem Herzen, die durchweg bestätigen konnten, dass die Kinder und Jugendlichen sehr positiv auf die demokratische Teilnahme am Basteln, an der Raumgestaltung oder an Entscheidung über Regeln für das Verhalten in bestimmten Situationen, wie dem „Morgenkreis“ in der Schmetterlingsgruppe von Alissa Kahl von der Integrativen Familienkita Rappelkiste in Gödenroth.
Und die Kinder? Sie erkannten und schätzten ihre Mitwirkungsmöglichkeiten außerordentlich: „Sie fühlten sich ausnahmslos ernst- und wahrgenommen“, zog Vanessa Müller von der Fritz-Straßmann-Realschule plus Boppard bei der Vorstellung ihres Projektes „Lernzeit – wir gestalten gemeinsam“ eine positive Bilanz. „Es war eine wichtig und keine selbstverständliche Erfahrung für die jungen Menschen“, ergänzt sie. „Demokratie muss halt immer wieder gelernt werden und kann nicht einfach vorausgesetzt werden, weil es ja im Grundgesetz steht.“ Demokratie lernen heißt demzufolge für die Erzieherinnen und Erzieher, dass es auch auf ihre Haltung ankommt, denn sie müssen die Initiative dazu ergreifen. Und das ist leichter als gedacht, bewertet Anne-Katrin Thomas ihr Projekt „Unsere Regeln für die Tobe-Ecke“: „Es ist erstaunlich, mit wie wenig Aufwand man so viel Teilhabe bei den Jugendlichen ermöglichen kann. Man muss es halt machen!“
Hoch zufrieden mit den Resultaten der Demokratie-Initiativen zeigte sich auch die Lehrerin Denise Dazert, die durch ihr facettenreiches Lernarrangement die Grundlage für den Erfolg des gesamten Projektes lieferte und die den digitalen Markt der Möglichkeiten, innerhalb dessen die die Schülerinnen und Schüler ihre Projekte digital präsentierten, gekonnt moderierte: „Ich bin richtig stolz auf meine Klasse: Sie hat viel Kreativität gezeigt und sich engagiert den Fragen eines größeren Publikums gestellt und damit den Grundstein für weitere demokratieerzieherische Projekte gelegt.“ Dies bestätigt auch Studiendirektor Dr. Descourvières von der Schulleitung: „Das Projekt ist vor dem Hintergrund des werte- und demokratieerzieherischen Profils unserer Schule pädagogisch von so großer Güte, dass es sich als regelmäßige Initiative der BBS Boppard etablieren sollte. Das entspricht genau unserem jüngst beschlossenen Leitziel „Starke Persönlichkeiten in der digitalen Welt“.